Das Ohr ist psychologisch gesehen das wichtigste Sinnesorgan des Menschen. Nur wenn wir gut hören, können wir auch zuhören und uns aktiv mit anderen austauschen. Richtig hören und reagieren zu können ist unser Zugang zur Gesellschaft. Wer gut hört, kann Gesprächen folgen, Zusammenhänge erkennen und ironische Untertöne von ernstgemeinten Aussagen unterscheiden (s. Infobox 1).
Schlechtes Hören und Verstehen führt hingegen oft zu Missverständnissen und damit zu Fehlreaktionen.
Schlechtes Hören bedeutet weniger verstehen
Dass es vermehrt zu Schwierigkeiten beim Hörverstehen kommen kann, merken vor allem Menschen mit einer einsetzenden Schwerhörigkeit. Wo es früher einfach war, in Gesellschaft einem komplexen Gespräch zu folgen, wird es immer schwieriger, alles richtig zu verstehen, Pointen nicht zu verpassen und sich von störenden Geräuschen nicht ablenken zu lassen.
Psychologisch gesehen ein elementarer Nachteil. Niemand setzt sich gern Situationen aus, in denen er sich unwohl fühlt. In der Folge vermeiden Betroffene immer häufiger gesellschaftliche Situationen. Doch je weniger soziale Kontakte Betroffene haben und je seltener sie sich anspruchsvollen akustischen Situationen aussetzen, desto schwieriger wird es, in ebendiesen Situationen zurechtzukommen.
Einzelne Sprecher zu fokussieren und gleichzeitig Hintergrundgeräusche auszublenden ist eine Leistung unserer Hörverarbeitung und diese arbeitet umso effektiver, je öfter sie gefordert wird. Ist die Menge an akustischem Input durch eine Hörminderung begrenzt, wird das gezielte Verstehen immer mehr zur Herausforderung.
Gemeinsam einsam
Schwierigkeiten beim Hörverstehen sind nicht auf Gruppensituationen beschränkt: auch im Zweiergespräch entstehen durch schlechtes Hören häufig Missverständnisse. Gerade Alltagssituationen zwischen Ehepartnern oder Freunden liefern reichlich Potenzial für Fehleinschätzungen.
Der Guthörende kann nicht nachvollziehen, dass der andere etwas selbst nach mehrmaligem Wiederholen nicht verstanden hat, obwohl er doch vermeintlich laut und deutlich gesprochen hat. Der Schlechthörende ist es irgendwann leid, ständig nachzufragen und gibt sich mit Mutmaßungen zufrieden. So kommt es zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen auf beiden Seiten. Ein Streit ist da oft vorprogrammiert.
Beide Seiten wähnen sich im Recht und liegen dabei oft gar nicht so falsch. Der Guthörende hat laut und deutlich gesprochen. Der Schlechthörende, der nichts von seiner Einschränkung weiß, hat im selben Augenblick aber auch aufmerksam zugehört, das Gesprochene aber nur undeutlich wahrgenommen. Undeutliches Verstehen wird vom Gegenüber jedoch oft als Unaufmerksamkeit fehlgedeutet, obwohl die Ursache in der nachlassenden Hörleistung zu suchen ist.
Das Gefühl, dass die Bedürfnisse des anderen nicht ernstgenommen werden, kann auf beiden Seiten negative Gefühle verursachen. Summieren sich dabei zu viele Reibungspunkte, ist das Konfliktpotenzial groß und es kommt vermehrt zu Streitigkeiten.
Infobox 1: Wie funktioniert der Hörvorgang
Hören ist ein zweistufiger Prozess. Wir hören mit den Ohren, aber verstehen mit dem Gehirn. Unsere Ohren fungieren dabei als Verstärker und machen leise Hörinhalte lauter. Das Innenohr übersetzt die ankommenden akustischen Schallwellen nach der Verstärkung in Nervensignale, die über den Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet werden, wo die Informationen selektiert und verarbeitet werden.
Alle Hörinformationen gelangen dabei zunächst ungefiltert in die Hörverarbeitung. Würden alle diese Hörinhalte bewusst wahrgenommen werden, wären wir permanent akustisch überfordert. Ein elementarer Teil der Hörverarbeitung ist daher die Hörfilterfunktion. Diese arbeitet bei einem gesunden Gehör sehr effektiv: nur etwa 30% der Hörinformationen erreichen tatsächlich unser Bewusstsein, ca. 70% werden herausgefiltert.
Neben irrelevanten Hintergrundgeräuschen wie einem permanenten Uhrenticken, Kühlschrankbrummen oder Autolärm, zählen auch körpereigene Geräusche wie Schlucken oder Atmen dazu. Die Effektivität der Hörfilter-Leistung wird jedoch erst deutlich, wenn man bedenkt, was unser Gehör in einer Situation mit starkem Hintergrundgeräusch leistet. In einem gutbesuchten Restaurant einem Gespräch folgen zu können, trotz Hintergrundgeräuschen, Geschirrklappern und umliegenden Gesprächen, ist eine enorme akustische Leistung.
Solange Ohren und Hörverarbeitung uneingeschränkt funktionieren, sind beide Bereiche des Gehörs perfekt aufeinander abgestimmt: daher erscheinen uns gutes Hören und Verstehen als selbstverständlich. Das ist es auch, allerdings nur so lange Ohren und Hörverarbeitung intakt sind.
Wissen ist Macht - schlechtes Hören erkennen und handeln
Wer um die Zusammenhänge von Hören und Verstehen weiß und sich der Folgen eines Hörverlustes bewusst ist, ist offener dafür, den Ursachen eines Missverständnisses auf den Grund zu gehen.
Daher ist Aufklärung darüber, wie sich eine Schwerhörigkeit äußern kann, für Betroffene und Angehörige gleichermaßen wichtig. Schlechts Hören bedeutet nicht unbedingt leiser zu hören, sondern unter Umständen nur undeutlich und verschwommen. Hintergrundgeräusche werden subjektiv lauter wahrgenommen, während Sprachinhalte immer schlechter verstanden werden.
Bei einer starken Hintergrundkulisse wird daher oft mehr gut geraten als gut gehört. Angehörige oder Partner müssen oft als Übersetzer fungieren, was für beide Seiten zermürbend sein kann. Wirken Sie daher einer einsetzenden Schwerhörigkeit rechtzeitig entgegen, um sich und ihre Angehörigen zu entlasten.
Negative Glaubenssätze
Ängste und Vorurteile stehen der Behandlung einer Schwerhörigkeit oft im Weg. Hörgeräte sind stigmatisiert und Menschen, die Hörgeräte tragen, tun dies oft nur mit großem Widerwillen. Hörgeräte zu tragen kommt einem Zugeständnis gleich, mit seinen besten Jahren abgeschlossen zu haben.
Obwohl diese Glaubenssätze längst überholt sind und die heutigen Hörgerätetechniken mehr Miniaturcomputern als altbackenen Hörgeräten gleichen, stehen sich Betroffene oft selbst im Weg. Vor allem dadurch, dass ein eingeschränktes Gehör lange Zeit gut kompensierbar ist: elektronische Geräte werden lauter gestellt, Sprache wird von den Lippen abgelesen, schwierige Worte werden im Satzzusammenhang ergänzt.
Doch je länger das Defizit besteht, desto schwieriger wird es, das Gehör zu rehabilitieren. Denn nicht nur der Hörverlust schreitet voran, auch die Leistung der Hörverarbeitung lässt mit der Zeit immer mehr nach (s. Infobox 2). Eine bestehende Schwerhörigkeit wird leider nicht besser, wenn man sie ignoriert, ganz im Gegenteil. Wer schlecht hört wird misstrauisch und unsicher, Hörinhalte werden missverstanden, Informationen überhört: das zunehmende Konfliktpotenzial führt bei den Betroffenen häufig zu emotionalem Rückzug.
Infobox 2: Was passiert bei einer Hörminderung?
Gutes Hören und Verstehen nehmen wir als selbstverständlich hin, bis das Gehör irgendwann nicht mehr richtig funktioniert und wir uns der Auswirkung dieser Einschränkung nach und nach bewusst werden. Ein Hörverlust wirkt sich auf beide Bereiche des Gehörs aus: sowohl auf die Leistung der Ohren als auch auf die Fähigkeiten der Hörverarbeitung.
Da ein Hörverlust meist schleichend auftritt und für Betroffene lange Zeit unbemerkt bleibt, wird eine Höreinschränkung meist in komplexen Hörsituationen als erstes deutlich. Dort kommen das Fehlen bestimmter (leiser) Hörinhalte und die mangelnde Hörfilterleistung zusammen und summieren sich zu einer nicht zu bewältigenden akustischen Herausforderung. Dabei haben Betroffene meist nicht das Gefühl zu wenig zu hören, sondern eher das Falsche.
Das Fehlen hoher Schallinhalte äußert sich zudem nicht im erwarteten „ich höre alles zu leise“, sondern erzeugt eher den Eindruck „ich höre alles so undeutlich“. Die eingeschränkte Hörfilterleistung führt zusätzlich dazu, dass Betroffene Hintergrundgeräusche schlechter ausblenden können und gleichzeitig nicht mehr in der Lage sind, Hörinhalte richtig zu fokussieren.
Kurz gesagt: Betroffene können nicht nur schlechter hin- sondern auch schlechter weghören.
Wie können Sie Betroffene unterstützen?
Verständnis und Geduld sind Schlüsselelemente im Umgang mit Schwerhörigkeit. Gleichzeitig sollten Sie Betroffene gezielt ermutigen, rechtzeitig ihren Hörstatus zu untersuchen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Je früher eine Hörminderung festgestellt wird, desto eher ist eine Rehabilitation der Hörfilter möglich.
Fundierte Informationen und positive Beispiele aus dem Freundes- oder Familienkreis sind dabei meist hilfreicher als gute Überredungskünste. Vorwürfe sind ebenfalls kontraproduktiv. Statt Betroffene mit möglichen negativen Auswirkungen zu konfrontieren, ist es zielführender, ihnen aufzuzeigen, was alles möglich sein wird, wenn gutes Hören wieder gelingt.
Doch bedenken Sie: Ratschläge sind auch Schläge. Gehen Sie daher behutsam vor, reden Sie weniger und stellen Sie mehr Fragen.
Betroffene können nur selbst etwas an ihrer Situation ändern und dazu ist es notwendig, dass sie selbst wollen und sich nicht gedrängt fühlen. Eigenmotivation ist der eigentliche Schlüssel zum Erfolg. Fragen Sie deshalb zum Beispiel, wie das Leben in 5, 10 oder 15 Jahren aussehen wird, wenn so weitergemacht wird, wie bisher. Und fragen Sie anschließend, wie es sein könnte, wenn jetzt gehandelt werden würde. Welche Lösungsmöglichkeiten gäbe es?
Aber Achtung: Kein Coaching ohne Auftrag! Ist Ihr Gegenüber nicht gesprächsbereit oder fühlt sich von Ihren Fragen genervt, lassen Sie ihn oder sie in Ruhe. Seien Sie verständnisvoll und geduldig, denn steter Tropfen höhlt den Stein. Testen Sie immer wieder an, säen Sie die Idee und wenn die Zeit reif ist, wird der oder die Betroffene handeln.
Hörgesundheit im Fokus
Um den Hörstatus zu bestimmen, ist der Weg zum Akustiker oder HNO-Arzt die richtige Wahl. Dort kann beurteilt werden, in welchem Zustand sich das Gehör befindet, ob eine Schwerhörigkeit vorliegt und wie diese am besten ausgeglichen werden kann (s. Infobox 3).
Generell gilt: je früher eine Hörminderung erkannt wird, desto einfacher und schneller ist diese auszugleichen. Und je schneller gehandelt wird, desto besser gelingt das Hören und Verstehen, desto weniger Missverständnisse entstehen. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
Infobox 3: Gehöranalyse - aber richtig
Bei der Bestimmung des Hörstatus sollte darauf geachtet werden, dass sowohl die Hördefizite im Bereich des Ohres als auch die Einschränkungen der Hörfilterleistung erfasst werden. Oder anders gesagt: neben dem klassischen Hörtest, der die Verstärkungsleistung der Ohren widerspiegelt, sollte zudem geprüft werden, ob die Hörverarbeitung in der Lage ist, akustische Inhalte richtig zu selektieren und andere gleichzeitig auszublenden.
Diese sogenannte Hörfiltermessung lässt Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Hörverarbeitung zu und zeigt, ob bei der Rehabilitation des Gehörs ein begleitendes Hörtraining sinnvoll wäre. Sie wird in allen terzo-Zentren kostenlos angeboten. Vereinbaren Sie doch am besten gleich einen Termin.
Fazit
Je früher eine Hörminderung festgestellt und behandelt wird, desto größer sind die Chancen, das Gehör zu rehabilitieren. Daher sollten Sie aufmerksam sein. Sobald Sie vermehrt nachfragen müssen, Sie das Gefühl haben, dass die anderen nuscheln oder es sehr häufig zu Missverständnissen und daraus resultierenden Streitgesprächen kommt, sollten Sie Ihren HNO-Arzt, Ihre HNO-Ärztin, einen Hörakustiker oder eine Hörakustikerin aufsuchen. Ein regelmäßiger Hörtest hilft Ihnen, über ihren Hörstatus informiert zu bleiben und sehr früh auf einen Hörverlust reagieren zu können.
Ihre Erfahrungen
Kennen Sie in Ihrem Umfeld Menschen, die nicht mehr gut verstehen? Oder haben Sie bei sich selbst schon Hörschwierigkeiten festgestellt? Wie gehen Sie mit den verschiedenen Situationen um? Würden Sie in Zukunft Betroffene mehr dazu raten, frühzeitig etwas gegen den Hörverlust zu unternehmen?
Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen!
Wir hören uns.
Ihr terzo-Team